Mensch und Person

Die Juristen sind bekannt dafür, gerne mal seltsame Begrifflichkeiten zu verwenden, mit denen normale Menschen nichts anfangen können. Wer spricht ansonsten schon von „Auflassung“, wenn er eine Grundstücksübertragung meint, oder von „besorgen“, wenn er Sorge um etwas hat?

BGB: Rechtsfähiger Mensch = natürliche Person

Und so verwundert es wohl auch kaum, dass der Jurist den Menschen nicht als Menschen bezeichnet, sondern von „natürlicher Person“ spricht. Und derlei Kuriositäten verbirgt der Jurist nicht einmal irgendwo dort, wo sie eh niemand findet, sondern stellt sie gleich an den Anfang der wohl wichtigsten Rechtsnorm der Praxis, des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Um vollends für Verwirrung zu sorgen, nennt er das erste Kapitel des BGB, den Titel 1, auch noch „Natürliche Personen“, um dann in § 1 darzustellen, dass die Rechtsfähigkeit des Menschen (!) mit Vollendung der Geburt beginnt. Warum nur nennt man den Menschen erst Menschen und dann doch wieder natürliche Person?

Die Antwort darauf ist – in gewissen Grenzen – logisch:

Eine Person im rechtlichen Sinne ist jemand, der Rechtspersönlichkeit hat, also rechtsfähig ist. Er kann rechtliche Bindungen eingehen, Rechte und Pflichten haben. Jeder Mensch kann – zumindest heutzutage, mehr dazu später – Rechte und Pflichten haben, und zwar ab der Geburt. Dass man als zwei Stunden altes Baby noch keine Verträge schließen kann, ist zunächst unerheblich. Auch ein Kleinkind kann bereits Eigentümer sein und Forderungen besitzen.

Unternehmen sind juristische Personen

Weil im modernen Wirtschaftsleben aber längst nicht mehr jeder nur selbst und für sich handelt, gibt es auch Unternehmen, die also solche Rechtsbindungen eingehen. Wenn ein Großunternehmen also einen Vertrag schließt, dann treffen die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag das Unternehmen an sich und nicht etwa alle Aktionäre persönlich. Das Unternehmen wird also rechtlich „vermenschlicht“, es handelt wie ein einzelner Mensch. Dies bezeichnet man als juristische Person. Eine solche juristische Person ist natürlich nur ein gedankliches Konstrukt und kann selbst nicht handeln. Vielmehr handelt sie durch ihre Organe, bspw. durch den Vorstand. Aber diese Organe handeln eben nicht im eigenen Namen, sondern für die juristische Person.

Ob nun eine natürlich oder eine juristische Person handelt, ist im Recht ziemlich egal. Beide Arten von Personen können Gläubiger und Schuldner, Eigentümer und Besitzer, Kläger und Beklagter sein. Durch den Oberbegriff „Person“ vermeidet man es, ein Spezial-BGB für Unternehmen schaffen zu müssen. Es gibt nur ein Recht und das gilt für alle Rechtspersonen.

„Mensch“ als biologische Kategorie

Der Mensch hingegen ist grundsätzlich eine biologische Kategorie. Mensch ist, wer der Spezies Mensch angehört. Das bürgerliche Recht interessiert sich aber für Biologisches eher weniger. Relevant ist der Mensch hier in erster Linie als rechtlich Handelnder, also als Person – als rechtsfähige Person, um genauer zu sein. Der noch nicht geborene Mensch ist aber nur in Ausnahmefällen rechtsfähig. Und genau darum beginnt das Kapitel über die natürlichen Person mit der Rechtsfähigwerdung des Menschen, die man biologisch als Geburt bezeichnet.

Da jeder Mensch mit der Geburt automatisch rechtsfähig ist, hat die Unterscheidung von Mensch und Person heute erheblich an Bedeutung verloren. Doch früher gab es durchaus Menschen, die keine Personen waren – nämlich Sklaven. Sklaven waren biologisch Menschen, das hätte nicht einmal ein altrömischer Sklavenhalter ernsthaft bestreiten wollen. Aber sie wurden von der Juristerei nicht als Inhaber von Rechtspositionen, sondern als Eigentum, gleichsam als Sachen angesehen. Wenn das BGB also gleich zu Anfang konstatiert, dass jeder Mensch auch eine Person ist, dann ist das eine klare Absage an die Sklaverei und drückt den ursprünglichen – heute kaum noch vorhandenen – Geist des BGB als liberale Rechtsordnung aus.

§ 1 BGB ist eine Absage an die Sklaverei

Eine wirkliche Bedeutung hatte die Ablehnung der Sklaverei eigentlich auch zur Zeit des Inkrafttretens des BGB am 1. Januar 1900 nicht mehr; denn auch in den bis dahin herrschenden Privatrechtsordnungen der deutschen Staaten gab es natürlich längst keine Sklaven mehr. Man darf aber nicht vergessen, dass das BGB eine relativ lange Vorgeschichte hatte, erste Vorarbeiten begannen 1874, die für das endgültige BGB verantwortliche Kommission trat 1890 zusammen. Abgeschafft wurde die Sklaverei in Großbritannien 1834, in Nordamerika 1865, in Brasilien 1888, im Osmanischen Reich bestand sie teilweise noch – so völlig aus der Welt war die Vorstellung, dass es Menschen gab, die vor dem Gesetz nur Eigentum waren, zu diesem Zeitpunkt also auch nicht.

Vielleicht ist es darum ein gutes Zeichen, dass wir heute mit der subtilen Unterscheidung zwischen Mensch und Person nicht mehr viel anfangen können, weil uns Sklaverei derart fremd ist. Vielleicht ist es aber auch nur ein typischer Spleen der Juristen, sich laufend seltsame Bezeichnungen ausdenken zu müssen. Wer weiß…

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